Zukunft des Controllings? – Controlling der Zukunft!

05.10.2021

Autoren: Andreas Seufert und Utz Schäffer

Prof. Dr. Andreas Seufert im Interview mit Prof. Dr. Utz Schäffer von der WHU – Otto Beisheim School of Management – Institut für Management und Controlling über das Thema Digitalisierung und digitale Transformation.

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Andreas Seufert: Hallo Utz, schön dass es klappt mit unserem Interview. Du bist ausgewiesener Experte für unser heutiges Thema. Mit eurem Institut an der WHU Koblenz seid ihr eine der Top-Adressen für das Thema Controlling. Vielleicht fangen wir einfach damit an, dass du uns ein paar Hintergrundinformation zu dir und deiner Person gibst.

Utz Schäffer: Sehr gern, Andreas! Ich freue mich auch sehr, dass wir heute das Gespräch führen können. Kurz zu meiner Person:  Ich bin jetzt seit 14 Jahren an der WHU am Institut für Management und Controlling tätig. Wir setzen uns dort intensiv mit der Zukunft des Controllings und insbesondere auch der Digitalisierung der Finanzfunktion auseinander. Lass mich ein paar Aktivitäten hervorheben: Zunächst natürlich die Mitwirkung im Internationalen Controllerverein, u.a. im Kuratorium und als Vorsitzender der Jury des Controlling Excellence Awards, und die Kooperation mit dem Chartered Institute of Management Accountants.

Daneben beobachten wir im Rahmen des WHU Controllerpanels seit nun bald zwanzig Jahren wie sich die Controllingpraxis entwickelt. Und seit 2011 führen wir alle drei Jahre eine ergänzende Zukunftsstudie durch. In Roundtables mit unseren Unternehmenspartnern diskutieren wir regelmäßig, wo es mit dem Controlling hingeht. Und in unseren Forschungsprojekten versuchen wir selektiv tiefer zu bohren und ausgewählte Fragestellungen fundiert zu beantworten. Dieses enge Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis ist das, was mir persönlich wichtig ist, wofür wir am Ende stehen wollen.

Vielen Dank. Du hattest es angesprochen, Ihr führt regelmäßig Studien durch. Ganz konkret, wo stehen die Unternehmen hinsichtlich Digitalisierung ihres Controllings?

Utz Schäffer: Natürlich muss man hier differenzieren und sollte nicht alles in einen Topf werfen. Wir sehen in den Studien des WHU Controller Panels durchaus Unterschiede, etwa zwischen großen und kleinen, börsennotierten und nicht börsennotierten Unternehmen. Grundsätzlich kann man aber sagen, dass sich in den letzten Jahren einiges getan hat. Dennoch stehen bei der Digitalisierung des Controllings noch fast alle Unternehmen eher am Anfang. Die Reise ist lang.

Dennoch stehen bei der Digitalisierung des Controllings noch fast alle Unternehmen eher am Anfang. Die Reise ist lang.

Das würde ich unterschreiben!

Utz Schäffer: Salopp könnte man vielleicht sagen: „Mittlerweile sind viele aufgewacht.“ Zwischen 2016 und 2018 habe ich den einen oder anderen Weckruf publiziert, nicht zuletzt im Controller Magazin und in der FAZ. Die Aussage war damals recht klar: Wenn wir uns als Community nicht grundlegend weiterentwickeln, hat das Berufsbild des Controllers auf Sicht ein existentielles Problem. Und das, obwohl der Grundgedanke des Controllings – die Rationalitätssicherung – in Zeiten des Umbruchs wichtiger ist denn je. Dafür gab es damals viel Zustimmung, gleichzeitig wurde ich aber vielerorts auch heftig und zum Teil emotional kritisiert.

Mittlerweile stellen viele fest, dass der technologische Fortschritt und die daraus resultierenden Möglichkeiten viel weitreichendere Implikationen haben als noch vor wenigen Jahren angenommen. Und das nicht erst in 15 Jahren. Die Kernbotschaft von damals bestreitet heute glaube ich keiner mehr: „Wenn wir uns nicht grundsätzlich verändern, haben wir ein richtiges Problem.“

Sehr guter Punkt, das würde ich gern vertiefen. Was meinst du denn mit grundsätzlich verändern?

Utz Schäffer: Im ersten Schritt muss der Finanzbereich seine Expertise im Bereich von Technologie und Methoden weiterentwickeln. Wir sind nun mal zunehmend in der Lage, Reporting- und Forecasting-Prozesse in weiten Teilen zu automatisieren und große Mengen finanzieller und nichtfinanzieller Daten zu analysieren. Wenn ich nicht verstehe, wie das geht und wo die Grenzen sind, bin ich auf Sicht raus aus dem Spiel. Andere können das besser.

Im zweiten Schritt muss ich verstehen, dass es um mehr geht als Technologie. Ich muss immer vom Prozess oder vom Problem kommen und dann schauen, wie mich verschiedene Technologien dabei unterstützen, das Problem zu lösen oder den Prozess noch weiter zu optimieren. Auch hier gilt wieder: wenn ich die Prozesslandschaft und das Geschäftsmodell des Unternehmens nicht gut genug verstehe, bin ich auf Sicht raus aus dem Spiel. Andere können das besser.

Könntest du das näher ausführen?

Utz Schäffer: Lass mich den Einsatz von Predictive Analytics im Forecasting als Beispiel nehmen. Hier gilt es zunächst, die verschiedenen Methoden, ihre Anforderungen und Grenzen beurteilen zu können. Das ist aber nur ein Teil der Geschichte. Als Controller muss ich auch ein kompetenter Ansprechpartner zum Thema Datenqualität sein – und eben nicht nur bei Finanzdaten. Die Single Source of Truth sollte nicht bei der G&V aufhören.

Ich muss mir auch überlegen, welche Implikationen ein Predictive Forecast auf den Managementprozess hat, etwa im Zusammenspiel von dezentralen Bereichen und Zentrale. Wie kann ich sicherstellen, dass nicht nur die Erstellung des Forecasts effizienter und der Forecast selbst genauer wird, sondern auch die Arbeit mit dem Forecast Effizienz- und Effektivitätspotentiale erschließt? Am Ende kann ich nur so das ganze Potential der Digitalisierung heben.

In Pionierunternehmen sehen wir, dass es wirklich gelingen kann, die Diskussionskultur im Management ein Stück weit von Politik zu befreien und so zu schnelleren Entscheidungen zu gelangen. Intelligente Automatisierung heißt eben nicht nur, bestehende Prozesse im Backoffice zu automatisieren, sondern Prozesse in Front- und Backoffice neu zu gestalten.

Und noch eins wird hier deutlich: Technologie und Prozesse sind wichtig, ja. Der digitale Reifegrad eines Unternehmens macht sich aber auch am Mindset und den damit verbundenen Soft Skills fest.

Was meinst du damit?

Utz Schäffer: Mehr datenbasierte Analyse und mehr Transparenz ermöglichen ganz neue Formen der Interaktion im Management. Wenn ich Aussagen des Chefs datenbasiert in Frage stellen kann, ist die Verfügbarkeit dieser Daten das eine, eine entsprechende Kultur, eine Kultur, die das auch zulässt, das andere.

Ein zweiter Aspekt: Die mit der digitalen Veränderung einhergehende Unsicherheit erfordert weniger Planung und mehr Experimentieren. Auch das hat viel mit Mindset zu tun. Wie gehen wir mit dieser Unsicherheit um? Wo geht es um die letzte Nachkommastelle und wo nicht? Wann und wo muss ich die finanzielle Performance eines Projekts genau nachverfolgen und wo braucht es Beinfreiheit und einen langen Atem?

Kann der Controller das?

Utz Schäffer: Natürlich gibt es viele Controller, die das schon toll leben. Aber in der Breite sehe ich noch Defizite. Lass uns mal einen Schritt zurück gehen: Wir reden nun seit 15 oder 20 Jahren vom Business Partnering. Und sehen dennoch, dass viele Controller immer noch nicht in diesem Rollenverständnis angekommen sind. Und jetzt legen wir unter der Überschrift Digitalisierung nochmal eine Schippe drauf … da kann man schon ins Grübeln kommen.

Ist das ein Weiterbildungsthema?

Utz Schäffer: Ja, auch. Im WHU Controller Panel haben wir letztes Jahr gefragt, wie Controller sich selbst mit Blick auf die veränderten Anforderungen einschätzen. Das Ergebnis war differenziert, hat die Defizite und den Weiterbildungsbedarf aufgezeigt.

Eines muss dabei aber klar sein: Mindset kann ich nicht oder nur sehr eingeschränkt schulen.

Und ein zweiter Punkt, der mir wichtig ist: überfordern darf ich die Mannschaft auch nicht. Eine Möglichkeit, sich dem Thema zu nähern, ist das Denken in rollenspezifischen Kompetenzprofilen. In der WHU Delphi Studie zum Thema Rollen- und Kompetenzprofile der Zukunft haben wir uns vor drei Jahren von der Vorstellung gelöst, dass ein Controller alle Anforderungen abdecken muss und eine stärkere Hinwendung zu rollenspezifischen Kompetenzprofilen angeregt.

Denkst du da beispielsweise an eine Neuausrichtung des Controllings, wie beispielsweise bei der BASF oder Bosch?

Utz Schäffer: Ganz genau! Das sind zwei Unternehmen, die bei der Umsetzung solcher Gedanken ganz vorne dabei sind. Aber es gibt noch einen anderen Aspekt …

Und zwar?

Utz Schäffer: Man kann ja noch einen Schritt weitergehen und fragen: Müssen denn alle diese Rollen von Controllern übernommen werden?

Jetzt wird es spannend …

Utz Schäffer: In vielen Unternehmen sehe ich beispielsweise eine große Unsicherheit bezüglich der Frage, wo ein Data Analyst anzusiedeln ist. In Finance? Außerhalb von Finance? Oder Beides?

Und wenn Basisprozesse weitgehend automatisiert in einem Shared Service Center landen: werden sie dann noch von Controllern betreut? Wenn das Standard-Reporting durch Dashboards und Self-Service Konzepte ersetzt wird: könnte die Betreuung dieser Themen dann nicht in der IT verankert sein? Erste Unternehmen gehen diesen Weg. Wir müssen einfach akzeptieren, dass es nicht gegeben ist, dass all das, was ein Controller heute macht, auch in Zukunft von einem Controller gemacht wird.

Wir müssen einfach akzeptieren, dass es nicht gegeben ist, dass all das, was ein Controller heute macht, auch in Zukunft von einem Controller gemacht wird.

Beziehungsweise unter dem Label „Controlling“ läuft. Inhaltlich könnte man in der Tat vieles von den Tätigkeiten, die Business Analysts oder Data Scientists durchführen, auch dem Controlling zuordnen. Häufig werden diese Inhalte aber anders benannt und deshalb auch gar nicht als Controllingaufgabe wahrgenommen.

Utz Schäffer: Ist das schlimm? Ich kenne CFOs, die sagen: „Ob das jetzt Controlling heißt oder nicht, ist doch egal. Hauptsache es wird gemacht.“

Was meinst du?

Utz Schäffer: Aus der Perspektive des Finanzvorstands kann ich das verstehen. Er muss sich halt überlegen, wie er das Thema Rationalitätssicherung organisiert. Dabei geht es im Übrigen um mehr als die Analyse von Daten. Aus Sicht der Controller-Community ist das aber brandgefährlich und hat viel mit dem Selbstverständnis und der Attraktivität eines ganzen Berufsbilds zu tun.

Was bleibt denn für das Controlling, wenn die als attraktiv wahrgenommenen Teile der Rationalitätssicherungsaufgabe von anderen wahrgenommen werden? Ein bisschen Standardreporting? Ach nein, das wird ja automatisiert.

Ich sehe das auch bei meinen Studentinnen und Studenten. Data Analytics und Digitalisierung sind cool. Davon, dass das auch für das Controlling gilt, muss ich sie erst überzeugen.

Und das bedeutet? Was empfiehlst du den Controllern?

Utz Schäffer: Den Controllern muss daran gelegen sein, diese neuen und spannenden Aufgaben auch bei sich anzusiedeln. Wir haben in den letzten Jahren viel zu oft gehört: „Als Controller muss ich ja Data Analytics gar nicht können, das macht der Data Analyst oder Data Scientist. Ich musst nur übersetzen können.“

Das halte ich für gefährlich!

Utz Schäffer: In der Tat. Wenn die Controller die Methoden, die hinter Begriffen wie Analytics stehen, nicht ausreichend beherrschen, wenn sie nicht aus der Kuschelzone der finanziellen Daten herauskommen und die Herausforderung großer nicht finanzieller Datenmengen – etwa im ESG Bereich – annehmen, werden sie auf Dauer nicht mehr ernstgenommen. Die digitalen Pioniere haben das erkannt und forcieren daher ganz massiv den Auf- und Ausbau dieser Kompetenzen.

Nur die digitalen Pioniere?

Utz Schäffer: Was ich beobachte, ist Folgendes: Die Digital Leader forcieren das Tempo, während die Digital Laggards eher weiter zurückfallen. Der Abstand wird immer größer. Die Schere öffnet sich.

Das kann ich aus unseren Studien bestätigen. Es gibt nicht mehr nur eine Digitalisierungslücke zwischen Digital- und klassischen Unternehmen. Sondern auch innerhalb der sogenannten klassischen Unternehmen werden die Unterschiede immer ausgeprägter. Dabei wäre das Controlling – richtig verstanden – eigentlich in einer guten Ausgangsposition. Die Aufgabe muss meines Erachtens sein, Daten und Analytik in Geschäftspotentiale zu übersetzen … und dafür müssen in einer digitalisierten Welt die entsprechenden Kompetenzen aufgebaut werden. Noch eine Frage:

Wie gehen denn nach deinen Erfahrungen die Unternehmen mit dem Umbau der Kompetenzprofile um?

Utz Schäffer: Vielleicht noch ganz kurz: Ich kann dir da nur zustimmen! Der Kern dessen, was ein gutes Controlling schon immer ausgemacht hat, wird in Zukunft noch wichtiger. Der faktenbasierte analytische Blick nach vorne, die intime Kenntnis von Prozessen, Systemen und Geschäftsmodell und nicht zuletzt eine Kultur der konstruktiven Kritik und des gemeinsamen Lernens. Genau an dieser Stelle liegt die große Chance für Controller.

Aber zu deiner Frage: In meiner Beobachtung gehen mittlerweile viele Unternehmen die Weiterentwicklung der Kompetenzen aktiv an. Die Umsetzung ist aber nicht so einfach: wie sieht die optimale Mischung aus In-house Schulungen und externen Trainings, Learning on the Job, Online und Offline-Angeboten aus? Auch hier gilt wieder: rollenspezifische Kompetenzprofile helfen dabei, den veränderten Anforderungen gerecht zu werden, ohne die Mannschaft zu überfordern.

Utz, wir sind gestartet mit der Frage, wo stehen die Unternehmen heute. Lass uns versuchen, die Klammer zu schließen: Wo siehst du denn die größten Herausforderungen, was muss dringend angegangen werden?

Die zentrale Herausforderung ist nicht, ob digitalisiert wird oder nicht. Ohne Digitalisierung geht es gar nicht.

Utz Schäffer: Die zentrale Herausforderung ist nicht, ob digitalisiert wird oder nicht. Ohne Digitalisierung geht es gar nicht. Die zentrale Frage ist, wie die Digitalisierung für die Unternehmen und das Controlling genutzt werden kann. Dabei müssen Controller und Manager verstehen, dass die zentralen Herausforderungen wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit, Resilienz und Agilität zusammenspielen und nur sehr eingeschränkt getrennt voneinander adressiert werden können.

Unbedingt! Utz, zum Schluss: Wir sind ja beide in der Jury des ICV Controlling Excellence Awards. Inwieweit hilft denn dieser Award, die Unternehmen auf der Reise in die schöne, neue digitale Welt zu unterstützen?

Utz Schäffer: Das Schöne an diesem Award ist es ja, dass Best-Practices aus dem Controlling einer breiteren Öffentlichkeit bekanntgemacht werden. Wir setzen daher in der Jury ganz bewusst auf wirklich neue, innovative Lösungen, die noch nicht publiziert wurden und damit auch einer breiteren Öffentlichkeit noch nicht bekannt sind. Außerdem achten wir darauf, dass die siegreichen Projekte auch wirklich umsetzbar sind und aus dem Controlling heraus entwickelt wurden.

Wenn wir an die ausgezeichneten Projekte von Bosch, BASF, Telekom Austria oder Kuka im letzten Jahr denken, dann sind das Lösungen, die die Community als Best-Practices unmittelbar voranbringen.

Das kann ich nur bestätigen! Utz, ich möchte mich ganz herzlich bei dir bedanken für deine spannenden Beiträge und Einschätzungen. Ich wünsche dir weiterhin alles Gute!

Utz Schäffer: Ich danke dir Andreas, hat Spaß gemacht